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Das erste Mal

mit Texten von Raoul Biltgen, Nicole Claudia Weber, Biller Neuberger, William Shakespeare u.a.
Uraufführung 2013
Staatstheater am Gärtnerplatz, München
Musikalische Leitung: Liviu Petcu
Regie: Nicole Claudia Weber
Choreografie: Nicole Claudia Weber, Karl Alfred Schreiner
Dramaturgie: Judith Altmann
Thaterpädagogische Betreuung: Rotraud Arnold
Ensemble Gärtnerplatz Jugend
Fotos: Christian Zach

Das erste Mal, Regie: Nicole Claudia Weber, Foto: Christian Zach
@Christian Zach

Presse

Süddeutsche Zeitung, 23.07.2013, Miriam Althammer

Liebe und Last

Die Gärntnerplatz-Jugend geht dem Thema der Verführung nach

München – „Ich steh‘ auf dich.“ Wie schwer ist es, diesen Satz über die Lippen zu bringen. Also wird schnell zu Spielchen der Verführung gegriffen, statt den anderen einfach mal mit Liebe zu überschütten. So lautet zumindest das fazit der Gärtnerplatz-Jugend, die in ihrem Stück „Das 1. Mal“ der Verführung auf die Spur kommen will. Unter der Regie von Nicole Claudia Weber, Choreografin und in dieser Spielzeit Leiterin der Gärtnerplatz-Jugend, ertasten sich die Jugendlichen über die Formen der Anmache und des Flirtens die großen Themen der Kulturgeschichte.

Der Apfel, prall und rot, als das Symbol der Verführung darf freilich nicht fehlen. Adam und Eva verfallen der Schlange, doch auch an Decamerones Sinnenfreuden denkt man unverwandt, wenn der Dreikäsehoch gleich mit zwei Exemplaren davon hantiert. Schüchtern und schwer verknallt stehen sich Romeo und Julia gegenüber. In ewiger Liebe vereint, ja, davon träumt der Mädchenchor mit genussvoll geschlossenen Augenlidern.
Die Szenen stellen die Unzulänglichkeit von Strache aus
Sie tanzen, sie singen, sie spielen. Ganz in schwarz gekleidet und vor einem roten Samtvorhang agierend, hinter dem sie allein, zu zweit oder in Grüppchen auf- und wieder abtauchen, sinnieren sie über Sehnsüchte und die ewige Suche nach Nähe. In einer Collage aus verschiedenen Nummern inszenieren sich die 28 Jugendlichen selbst unter Zuhilfenahme verschiedenster Textschnipsel (stammen teilweise aus der Feder des Schriftstellers Raoul Biltgen) und Musikstücken des 20. Jahrhunderts.
Gefühlsduselei kommt dabei nicht auf. Dank der ironisch-wissenschaftlichen Moderation wird alles analysiert und reflektiert. Worum geht es heute? Um Abschleppen und Sex? Um traditionelle Rollenbilder, die plötzlich nicht mehr gelten? Um Weicheier statt Machos, um aktive Frauen, die sich nehmen, was sie wollen, statt sittsam darauf zu warten, genommen zu werden? Die kurzen Szenen spielen vor allem etwas wider: die Unzulänglichkeit von Sprache. Situationen werden ausprobiert, die richtigen Worte für die großen Gefühle fehlen immer wieder.
So wird auf Gesang und Choreografie zurücj gegriffen. Gerade die Gruppenformationen und die kaleidoskopartige Auflösung wirken stark inspiriert vom Körpertheater jener niederbayerischen Schultheatergruppe des Benedikt-Stattler-Gymnasiums Kötzting, die mit ihren Eigenproduktionen und ihrer Spielweise als Bundessieger des Wettbewerbs der Jugendtheater 2006 und 2008 in Berlin für Furore sorgte. Auch hier reiht sich Bild an Bild. Auch hier erfolgt der Umbau statt mit Kulissen über die Körper als Bewegungs- und Klanginstrumente. Auch hier wird mit jugendlicher Kreativität der Rhythmus des Lebens gefeiert.

NachtSchatten, 21.07.2013

Was ist das Gegenteil von Liebe? Na? Genau: Gleichgültigkeit. Nachdem sich die beiden Turteltäubchen vor dem Vorhang aber keineswegs gleichgültig sind, bricht sofort Stress aus. Schon klar, kein Mensch erwartet irgendwelche Seelenverwandtschaften, aber kann der andere nicht mal so moderieren, wie man sich das vorgestellt hat? Und wie das vorher abgesprochen war?? Er gibt den gönnerhaften Schlauberger, sie zickt rum, aber trotzdem läuft es eigentlich sehr gut. Abgesehen davon, dass man sich nicht mal über die Grundlagen einig werden kann: Wie genau definiert sich Verführung? Zumindest bedarf es einer grundsätzlichen minimalen Bereitschaft des Gegenübers, sich verführen zu lassen. In der Fachsprache heißt das: Sehnsüchte. Wenn die Sehnsüchte von ihm und von ihr zu weit divergieren, gibt es Probleme. Logisch. Liebe gibt eigentlich immer Probleme, wenn ich so darüber nachdenke. Dieser Romantik-Scheiß ist hervorragend dazu geeignet, ein Nervenkostüm komplett zu ruinieren. Aber die Gärtnerplatz-Jugend ist ja noch jung und idealistisch und wirklich ganz hinreißend. Waren wir auch mal so, in dem Alter? Also, ich eher nicht, denn keiner von den Jugendlichen auf der Bühne ist unsicher, bockig und grottenhässlich. Wie machen die das? Ich will es gar nicht mehr wissen; es ist bestimmt ganz einfach, wenn man den Trick kennt.

Die Texte wurden größtenteils selber geschrieben, von der Regisseurin Nicole Claudia Weber, die ihre Anschauungsobjekte natürlich in Reichweite hatte. Einzelne Texte waren von Raoul Biltgen, Biller Neuberger und Willi Shakespeare. Die pubertierenden Bühnentiere singen einen Anmach-Chor (“Ich habe bemerkt, dass du mich nicht bemerkt hast…”). Konstantin Parnian, mit prachtvoller Schmachtstimme, und Emma Hannonen, mit Schmachtblick, bieten “Are you lonesome tonight”. Dass er ihr die langstielige Rose in der unfreiwilligen Komik der Dynamik der Romantik ins Gesicht klatscht, darüber sieht sie großzügig hinweg. Man versucht, sich dem Thema aus verschiedenen Richtungen anzunähern. Es gibt ein “Medley der Sehnsüchte” (Bedürfnisanalyse), Flirtbeispiele (Praxisbezug), kulturelle Hintergründe (empirisch-romantische Historie): Hier fängt man bei Adam und Eva an. Franziska Sauer macht das großartig, und Josef Roth beeindruckt durch seine Coolness, für die er eigentlich noch viel zu jung ist. Am besten gefiel mir ”Hernando’s Hideaway”, ein wunderbar gesungener Tango, beleuchtet nur mit vereinzelten Taschenlampen – ganz toll! Strenggenommen ist es nicht gerecht, wenn ich einzelne Namen erwähne und andere nicht – das hatte eher damit zu tun, wie mir die einzelnen Nummern dieser “verführerisch-musikalischen Revue” im Gedächtnis blieben. Jeder der Jugendlichen auf der Bühne hatte eine ganz eigene, interessante Art, das war in der Kombination spannend anzusehen. Aber, Kiddies, das Leben ist nicht fair, besonders das Theaterleben nicht – gewöhnt euch schon mal dran. Jedenfalls waren da viele Talente dabei; ich bin gespannt, was sie in der nächsten Spielzeit anstellen. Wenn die Gärtnerjugend-Aufführungen dann noch etwas früher angekündigt werden, erfahren auch andere interessierte Theatergänger davon, dann wird der Saal auch richtig voll. Wobei es so schon ganz anständig verkauft war. (Anmerkung am Rande: Diese Spielstätte war nicht nur mir völlig unbekannt, der Saal ist aber super. Gerne jederzeit wieder.)

Biller Neuberger spielt sich vermutlich selber, so großartig war das nuanciert, als jugendlicher Moderator im Gefühlschaos. Amelie von Godin will gegen Ende der Show, dass diese Moderation endlich mal nach ihrer hübschen Nase geht, und fühlt sich unpässlich… so lange, bis er weg ist, um ein Glas Wasser zu holen, dann kann sie in Ruhe nach ihrem Gusto weitermoderieren. Als er zurückkommt, ist er natürlich sauer. Er verzichtet jedoch darauf, ihr den Unterschied zwischen Verführung und Manipulation unter die – hatte ich es schon erwähnt? – wunderhübsche Nase zu reiben, und singt das hinreißende Lied von Bodo Wartke: “Was ich gerade denke.” (Ich? Äh, nichts, wieso?) Warum fragen Männer eigentlich nie: “Was denkst du gerade?” Egal, ich bin auch nicht als Männerversteherin bekannt. Für eine amüsante Show ist das Thema “Liebe” mit sämtlichen Verwicklungen natürlich ideal – aber was sich die Evolution dabei gedacht hat, das ist mir völlig schleierhaft. Konfusion, Chaos, Entropie pur. Ineffizienter geht es ja wohl nicht. Wie der Philosoph schon sagt: Liebe ist ein unordentliches Gefühl.

Anton-Fingerele-Bildungszentrum, München, 20.07.2013

Der Nachwuchs in den Startlöchern

Eine verführerisch-musikalische Revue wurde angekündigt rund ums Thema Boy meets Girl und welche Verstrickungen, Unwägbarkeiten und Missverständnisse damit einhergehen.

Die Aula des Bildungszentrums erweist sich als höchst komfortabler Theatersaal mit allen technischen Erfordernissen und bequemer Bestuhlung, sehr angenehm. Auf der Bühne lediglich ein Flügel, an dem Liviu Petcu als musikalischer Leiter die Aufführung begleitet. Auf Bühnenbild und Requisite, mit Ausnahme einer Bank, die hin und wieder hereingetragen wird, wird verzichtet, so dass das Augenmerk uneingeschränkt auf die Nachwuchstalente, 18 junge Damen und 8 junge Herren, alle einheitlich in schwarz gekleidet, gerichtet ist.

Moderiert wird der „Leitfaden zur Verführung“ von Amelie von Godin (herrlich nüchtern-zickig) und Biller Neuberger, dessen Schauspieltalent unübersehbar ist.

Das Programm dauert eine gute Stunde und in abwechslungsreicher Abfolge bekommt man Solisten- und Chorgesang mit wohlbekannten, das Thema bedienende Lieder aus Pop, Musical, Schlager und Evergreens zu sehen und hören sowie witzige Bonmots und kleine Kabinettstückchen dargeboten.

Besonders in Erinnerung geblieben sind dabei Nur für Dich, urkomisch präsentiert von Philipp Staschull und seinen Buddies, Was ich gerade denke, interpretiert von Biller Neuberger und die großartigen Chor-Ensemblenummern Eternal Flame, Money Money Money und vor allem am Ende The Rhythm of Life.

Als Gesangssolisten, bei denen man die fortgeschrittene Ausbildung erkannte, haben sich im Gedächtnis besonders Konstantin Parnian, Sarah Kieckens und Lilith Kampffmeyer festgesetzt – ihr weiterer Werdegang führt hoffentlich in absehbarer Zukunft auf die größeren Bühnen.

Ein kleiner Mann kam besonders groß raus – mit coolem Selbstbewusstsein eroberte der jüngste von allen, Josef Roth, die Zuschauerherzen im Nu. Weiter so!

Das Publikum, zum Großteil bestehend aus Familien und Freunden, spendete begeisterten Beifall und die jungen Darsteller strahlten vor Freude. Solche Projekte wird es hoffentlich weiterhin geben, den Initiatoren gebührt Respekt und Anerkennung für ihre Jugendarbeit. Die Musiktheaterbühnen brauchen talentierten Nachwuchs, und wie könnte dies besser gelingen, als mit solchen hausinternen Förderungen. Gratulation!